Sandra
AUSGEBREMST
Eine kleine Reise in die Vergangenheit…
„PLÖTZLICH WIRST DU AUSGEBREMST“
Ich war rein körperlich nie eine Grazie 🙂 Ich war schon immer etwas mehr, gut gebaut, hatte auch irgendwie immer ein wenig mehr „Kraft“ als andere in meinem Alter. Ich habe Sport gemacht, Kampfsport, mehrere Jahre.
Ich gehörte nicht unbedingt zu den Inaktiven, habe relativ früh neben der Schule angefangen zu arbeiten und es ging mir gut. Mit 16 bin ich damals nach Ulm gekommen, mein Tag änderte sich von einen Tag auf den anderen. Mein Sportverein war weg und selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht die Zeit gehabt hier einen neuen zu suchen, geschweige denn die Zeit zum Training.
Und plötzlich war da etwas, was ich nicht kannte. Schmerzen. Okay, ich muss gestehen, dass ich nach dem ein oder anderen Kampf auf der Matte auch mit Schmerzen nach Hause gegangen bin. Aber diese waren oft schnell weg und sie waren anders. Erklärbar. Als es mir die ersten paar Mal in den unteren Rücken schoss, dachte ich mir noch: „Verdammt, ich sollte echt mal wieder Sport machen“. Aber meine Tage waren erfüllt mit meiner Ausbildung und langen Arbeitswegen, oftmals kam ich nach Hause und fiel einfach hundemüde ins Bett. Ich war überfordert, überfordert damit plötzlich mein Leben allein und weit weg von zu Hause führen zu müssen. Da blieb kaum Zeit auf diese „Wehwehchen“ zu hören. Ich habe sie ignoriert. So gut es eben ging. Bis ich 20 war, war das Ganze noch erträglich, wenngleich ich manchmal, wenn die Zeit es zuließ, eher das Sofa aufgesucht habe, statt meine Freizeit draußen zu verbringen. Ab 20 wurde das Ganze stetig schlimmer. So schlimm, dass ich manchmal morgens nicht mehr problemlos aufstehen konnte. Aufrichten dauerte eine Weile, weil die Schmerzen übel im unteren Teil des Rückens saßen. Ich ging zum Arzt.
„Frau Jausch, sie sollten ihr Gewicht überdenken!“
Bähm das hatte gesessen. Ja ich hatte an Gewicht zugelegt, das kann ich kaum leugnen. Klar ich hab vor meiner Zeit in Ulm regelmäßig Sport getrieben und schlagartig von heute auf morgen damit aufgehört. Selbst wenn sich die Sache mit der Zeit zwischenzeitlich etwas gebessert hatte, so war es nun häufig so, dass mir die Schmerzen einen Strich durch die Rechnung machten. Das versuchte ich auch dem Arzt zu erklären – ohne Erfolg.
Machte ich mir etwas vor? Suchte ich selbst nach Ausreden? Hatte ich in meiner sportlich inaktiven Zeit so viel an Gewicht und Bequemlichkeit zugelegt, dass ich Ausreden für mein Nichtstun suchte?
Autsch
Ich fing an zu zweifeln, aber Bewegung schmerzte nach wie vor. Der Rücken machte mich teilweise wahnsinnig und von Jahr zu Jahr wurde es eher schlimmer, statt besser. Ich fühlte mich wie in einem miesen Kreislauf. Hin und wieder ging ich zum Arzt, die mich dann wiederum zu Orthopäden überwies, mal wurde ich eingerenkt, mal bekam ich Stromtherapie, aber nichts half wirklich, oder gar langfristig. Übrigens habe ich diesen „ärztliche Ansage“ bezüglich meines Gewichtes oft bekommen. Sehr oft. Und es trieb mich manchmal an den Rand der Verzweiflung, wenn ich versuchte zu erklären, dass ich gern würde…aber diese Schmerzen… und letztendlich doch nur belächelt wurde. So dass ich mir vielleicht nicht einmal selbst glaubte. Allgemein zweifelte ich oft an mir. Ich fühlte mich wie ein Simulant, nachdem die Ärzte – abgesehen von meinem Übergewicht und meiner Unsportlichkeit – nichts fanden. Keine Diagnose. Übrigens über all die Jahre auch keine Überweisung zur Physiotherapie, wobei KG mir (wie ich heute weiß) wirklich geholfen hätte. Aber keine Chance. Während andere sogar regelmäßig Rezepte für die Physio vom Zahnarzt bekamen, hatte ich kein einziges Mal Erfolg. Nicht einmal, als ich den Arzt einer Freundin in Esslingen aufsuchte. Stattdessen bat er mir Akupunktur gegen Eigenzahlung an.
Irgendwann habe ich resigniert. Ich hatte Schmerzen, ich wurde dadurch nicht sportlicher und obendrein fühlte ich mich selbst mittlerweile als Simulant, wenngleich die Beeinträchtigungen täglich schlimmer wurden. Morgens brauchte ich mittlerweile bis zu einer halben Stunde um einigermaßen schmerzfrei auftreten zu können. Aber ich war ja selbst schuld, ich brauch nur abzunehmen.
Ich ging nicht mehr zu Ärzten. Ich habe es nicht mehr ertragen. Viele Jahre nicht.
Irgendwann Anfang/Mitte 30 wechselte ich den Arzt. Es ist eine tolle Praxis mit lauter Ärztinnen, wobei jede einen anderen Schwerpunkt/ Fachgebiet hat. Aber ich fühlte mich von Anfang an bei allen gleichermaßen gut aufgehoben. Nur die Sache mit den Rückenschmerzen, die sprach ich nicht an. Zumindest nicht, bis es zu einem großen Check kam. Ja ab einen gewissen Alter rät einem die Krankenkasse dazu und davon abgesehen, lagen mir meine zwei besten Freundinnen schon länger in den Ohren, dass ich mich doch mal richtig durchchecken lassen sollte. Nun gut. Dann machen wir das halt. Und ich habe an dieser Stelle auch von meinen Schmerzen erzählt, in dem Wissen, dass es eh nichts bringen würde…
Als mir gesagt wurde, dass meine Entzündungswerte im Blut erhöht seien, war das für mich nichts Neues. Das habe ich im Verlauf der letzten Jahre immer wieder gehört, nachgegangen ist man dem nur nie. Umso verwunderter war ich in der Tat, dass meine neue Ärztin das nicht so hinnehmen wollte. Und was soll ich sagen, ein wahrer Marathon an Untersuchungen und Arztterminen ging los. Irgendwie war alles dabei, alles wurde getestet, gecheckt – ohne Ergebnis. Ohne waren Befund. Zu den Schmerzen im Rücken, gesellten sich die letzten Jahre auch immer wieder Schmerzen und Probleme mit anderen Gelenken. Dazu kam, dass auch mein Magen nicht immer so wollte wie ich. Schlagartig bekam ich üble Krämpfe und konnte es mir nicht erklären. Laktoseintoleranz, Zucker, Allergien gegen Fruchtzucker etc… alles getestet. Alles ausgeschlossen. Das ganze zog sich sicherlich gut ein Jahr – bis man hier und da einen Termin bekommt, das kann schon mal dauern – dennoch nichts. Ich merkte, dass von Termin zu Termin auch meine Ärztin ratloser wurde. Und ich war es schon lang. Ich hatte auch keine Lust mehr, diese Termine bei anderen Ärzten kosteten nicht nur Kraft, auch die Blicke … ich wollte nicht mehr.
„Sind sie mit einem Gen-Test einverstanden?“
Wie bitte? Meine Hausärztin meinte eines Tages, ob ich bereit sei einen Gen Test zu machen, sie hätte da was gelesen und würde das gern probieren. Sie sagte mir nicht um was es geht, oder was sie vermutete, es ging nur um den Test. Als wenn es auf diesen einen noch ankommen würde, also so what?! Machen wir diesen Gen – Test. Das Spaßige daran war, er war wirklich spannend. Die Arzthelferin nannten ihn immer „den komischen Bluttest“, weil das wohl kein Standard war. Ich musste einen ewig langen Fragebogen ausfüllen und unterschreiben, mir wurde auch eindeutig mehr Blut als sonst abgenommen und das alles machte schon irgendwie einen „besonderen“ Eindruck.
Eine Woche später – Besprechung in der Praxis – „Frau Jausch – sie sind HLA-B27 positiv“ – was auch immer das ist, ist das nun positiv oder negativ für mich?! Diese Frage musste ich tatsächlich erstmal stellen, denn ich verstand nur Bahnhof. Meine Ärztin meinte, dass es wohl eher negativ sei, denn es sei das, was sie vermutet hätte. Ich wurde daraus immer noch nicht richtig schlau, was sie mir wohl angesehen konnte.
„Es besteht die Möglichkeit, dass sie Morbus Bechterew haben!“
Ich verstehe immer noch Bahnhof, wobei ich eher das Gefühl hatte, dass der ICE direkt durch meinen Kopf gerast sei. Sie gab mir eine Überweisung zum Rheumatologen und meinte ich soll mir noch nicht so viele Gedanken machen und erst die Ergebnisse abwarten, leichter gesagt wie getan!
Da die Praxis meines nun neuen Rheumatologen neu aufgemacht hatte, hatte ich das Glück bereits eine Woche später einen Termin zu bekommen – und hey – das war wirklich Glück! Ich kenne Leute die warten hier Monate! Es folgten also noch ein paar Untersuchungen, unter anderem MRT und schon sehr kurz drauf hatte ich meine Diagnose. Meine Hausärztin hatte Recht behalten – mein Rheumi – wie ich ihn seit dem nenne – eröffnete mir, dass ich Morbus Bechterew hatte.
Da war sie also, die Bestätigung, dass die Information dass ich dieses komische Gen hatte, eher negativ ist. Oder doch nicht?
Die Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) ist eine schmerzhafte, chronisch verlaufende entzündlich-rheumatische Erkrankung, die sich vor allem an der Wirbelsäule auswirkt. Entzündungen der Wirbelgelenke, der Gelenke zwischen Wirbeln und Rippen sowie zwischen Kreuz- und Darmbein können (müssen aber nicht) zur Verknöcherung der Gelenkumgebung und zur knöchernen Überbrückung der Gelenke führen. Die Folge kann eine teilweise, im Endstadium auch vollständige Versteifung sein, oft in mehr oder weniger nach vorn gebeugter Haltung (Kyphose), und außerdem eine Brustkorbstarre, die das Atemvolumen einschränkt. Die Krankheit beginnt meistens zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr. Sie verläuft in Schüben und individuell unterschiedlich. Phasen hoher Krankheitsaktivität mit erheblichen Schmerzen, Abgeschlagenheit und manchmal auch Fieber wechseln mit solchen relativen Wohlbefindens. Gelenke außerhalb der Körperachse, Sehnenansätze (z.B. der Achillessehne), Augen (Regenbogenhautentzündung) und innere Organe können mitbetroffen sein.
Folgende Symptome sind für den Beginn einer Spondylitis ankylosans charakteristisch (aber nicht immer alle vorhanden):
• Zwischen rechts und links wechselnde Gesäßschmerzen verbunden mit einer Bewegungseinschränkung in der Lendenwirbelsäule und Ausstrahlung in die Oberschenkel
• Besserung bei Bewegung und Verschlimmerung bei Ruhe (bei den viel häufigeren nicht entzündlichen Rückenleiden ist es umgekehrt),
• Morgensteifigkeit länger als 30 Minuten,
• Andauern der Beschwerden über mehr als 3 Monate,
• Beginn der Krankheit vor dem 40. Lebensjahr,
• Auftreten der Steifigkeit und der Schmerzen vor allem in den frühen Morgenstunden.
Außer diesen häufigen Erstsymptomen können noch folgende Kriterien einen Hinweis auf einen Morbus Bechterew geben:
• Unsymmetrische Entzündung einzelner Gelenke (z. B. Hüftgelenk, Kniegelenk),
• Fersenschmerzen oder eine andere Sehnenansatz-Entzündung
• Regenbogenhautentzündung im Auge,
• Schmerzen über dem Brustbein, Einschränkung der Brustkorbdehnung ohne erkennbare Ursache
(Quelle DVMB)
Ja! Ja! Und nochmals Ja! – vieles davon war mir mehr bekannt, als mir lieb war. Und verdammt, als ich das alles hörte, war das schon ein Schlag in die Magengrube. Die Ursache des Morbus Bechterew ist nach wie vor unbekannt. Man weiß, dass es sich um eine Fehlsteuerung des Immunsystems handeln muss, die dazu führt, dass sich das Immunsystem, außer gegen eingedrungene Krankheitserreger auch gegen eigene Körperzellen richtet. Das bedeutet, mein eigener Körper, mein eigenes Immunsystem kämpft gegen mich und es ist nicht heilbar. Das musste ich kurz sacken lassen.
Aber es war das Beste was mir passieren konnte. Denn heute kenne ich den Namen meines Gegners!
Das was die Monate darauf folgte war kaum zu Beschreiben. Okay – man kann es nicht heilen. Das war einer der Punkte der mir immer wieder durch den Kopf hämmerte, aber – mit einer richtigen Therapie, kann man den Krankheitsverlauf aufhalten und ggf. sogar etwas Eindämmen. Es folgten 2 Schmerztherapien, bei denen ich Unmengen von Schmerzmittel täglich in mich reinstopfen musste. Ohne Erfolg, wenn man davon absieht, dass ich danach Probleme mit Leber und Niere hatte, die extra behandelt werden mussten. Aber diese 2 Therapien sind notwendig, damit man überhaupt in Frage kommt für eine Therapie mit Etanercept. Es handelt sich um ein gentechnologisch hergestelltes Protein und der Wirkmechanismus von Etanercept ist dabei durchaus kompliziert. Vereinfacht gesagt imitiert Etanercept die Rezeptoren, an die der Tumor-Nekrose-Faktor normalerweise bindet. TNF bindet sich also fälschlicherweise an das Medikament und kann dann seine eigentlichen, entzündungsaktivierenden Effekte über die Rezeptoren nicht mehr ausüben.
Und genau dieses Medikament spritze ich mir nun seit mehr als einem Jahr wöchentlich selbst. Und ich muss gestehen – ich bin unglaublich dankbar, dass ich hier in diesem Land, mit diesem Gesundheitssystem lebe. Denn auch wenn wir immer alle schimpfen – würde ich woanders leben, könnte ich diese Therapie nicht machen, weil ich sie mir nicht leisten könnte. Meine Spritzen kosten mehr als 20.000 Euro im Jahr! Und ich bin dankbar dafür!
Wie es mir damit geht? Es geht mir viel besser, was sicher nicht nur am Medikament, sondern auch an 2 x wöchentlicher Physio und Krankengymnastik liegt, sowie an einer tollen Reha die ich zwischenzeitlich hatte.
Und warum ich das heute alles schreibe?
Weil ich demütig und dankbar bin, ich weiß nun endlich was ich habe, ich werde kurioserweise nicht mehr wie ein Simulant behandelt, wenn ich doch mal zum Arzt muss. Ich werde ernst genommen, ich kann dagegen ankämpfen, diesen blöden Russen mehr Platz wie nötig in meinem Körper und meinem Leben zu geben. Ich schreibe das aber auch, weil ich eben nie schmerzfrei bin und gerade in den letzten zwei Wochen ging es mir diesbezüglich wirklich nicht gut. Ich habe einen Schub, selbst die Infusionen mit Schmerzmitteln und Kortison haben diesmal nicht angeschlagen. Was dann passiert? Nicht viel – außer, dass ich auf die Reservebank muss. Ich sterbe nicht daran, aber ich drehe durch, wenn ich als Schütze die Kontrolle nicht mehr habe, über meinen Körper und somit mein Leben. Wenn man von heut auf morgen einen Schub bekommt, fragt dieser kleine Russe (so nenne ich „ihn“ den Morbus Bechterew, weil es so „russisch“ klingt) nicht, ob du kurz vorm Urlaub stehst, es interessiert ihn auch nicht, ob du im Büro noch jemanden als Urlaubsvertretung einlernen musst, ebenso wenig fragt er nach, wie die Kollegen das finden, wie man sich selbst dabei fühlt und vor allem scheint es ihm einen riesen Spaß zu machen, mir morgens zuzusehen, wie ich eine halbe Stunde für den Weg vom Schlafzimmer ins Bad brauche.
Das sind dann einfach Momente, in denen ich Geduld lernen muss, Geduld mit meinem Körper. Vielleicht sogar manchmal Geduld mit meinen Mitmenschen oder gar Kollegen. Ich weiß nicht was sie denken, ich weiß aber, dass ich immer wieder ein schlechtes Gewissen habe, wenn es mich „erwischt“. Ich würde gern ohne diese Krankheit leben, „normal“ sein und verlässlich für meine Kollegen.
Diesmal hat der Schub mit 2 Wochen also wirklich relativ lang angehalten, was an meinen Nerven gezogen hat, nicht zuletzt, weil ich so kaum im Stande war unseren – also Euren Startnext Erfolg richtig mit Euch zu zelebrieren und zwischenzeitlich hatte ich wirklich Angst um Norwegen. Aber alles ist gut. Und am Mittwoch geht es los.
Ich teile das mit euch aus mehreren Gründen. Ich weiß nicht, ob ich für alle sprechen kann, denen es so geht, daher tue ich es nur für mich. Ich, als chronisch kranker Mensch möchte kein Mitleid, ich möchte nicht anders behandelt werden, ich möchte gerade im Job als vollwertig angesehen werden, wie meine Kollegen auch, ich bin weder was Besonderes, noch möchte ich als Belastung angesehen werden.
Nur wenn ich einen Schub habe, hoffe ich auf ein wenig Verständnis, denn ausgesucht habe ich mir all das nicht…
Daher geht raus, lebt das Leben, genießt es, denn wir haben alle nur diese eine!
Passt gut auf Euch auf!
Sandra